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Spielen in … USA (Teil I)

Eine aktuelle Version von Reversi von Holzinsel von Holzinsel

Spiele aus Amerika und aller Welt

Deutsche Spiele sind in der Welt das Nonplusultra, sagt man wenigstens. Doch was ist mit anderen Ländern. Wie und was wird dort gespielt? Gibt es dort eine ähnlich rege Spieleszene? Wir wagen einen Blick über die Grenzen und haben Menschen gefragt, die es wissen müssen: Autoren, Verlage, Spieler. Natürlich können unsere Ergebnisse nur eine Stichprobe und eine Momentaufnahme sein. Die Wahrheit liegt hoffentlich dicht an unserer Recherche, vielleicht aber auch weit davon weg.

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Wir alle wissen – oder mutmaßen zumindest –, dass die beliebtesten oder gängigsten Spiele eines Landes auch in anderen Ländern gespielt werden. Doch kulturelle Unterschiede und Sprachbarrieren erschweren die gemeinsame Nutzung von Spielen. Wie viele der Spiele, die in den Vereinigten Staaten gespielt werden, wurden aus anderen Ländern eingeführt? Und wie viele Titel exportiert oder lizenziert Amerika nach Übersee?

Ein antikes Pachisi, gezeigt im Landesmuseum Hannover im Frühjahr 2003 von Reich der SpieleWas besagt schon ein Name? Viele Spiele, die heute in den Vereinigten Staaten und in anderen Ländern gespielt werden, waren bereits lange Zeit vorher im Umlauf, wenn auch manchmal unter anderem Namen. Das noch heute beliebte Othello stammt aus Japan and gewann in den USA 1976 einen Preis als „bestes neues Spiel“. Doch dasselbe Spiel, mit leicht veränderter, eingeschränkter Eröffnungsvariante, wurde in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts in ganz Amerika als Reversi gespielt, dem Namen, unter dem es in Europa bekannt ist. Reversi kam aus England, wo es in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts erfunden wurde, in die USA.

Zu derselben Zeit wurde Pick Up Sticks sowohl von europäischen als auch amerikanischen Kindern gespielt. Später wurde das Spiel in den USA unter dem Namen Jack Straws und in Europa als Spilkins bekannt, ein Name, der – neben Mikado – noch heute gebräuchlich ist. Die Form der Stäbchen, jetzt lang, dünn und glatt, war damals oft landwirtschaftlichen Geräten oder Speeren und Lanzen nachempfunden. Einige Sets waren aus Knochen oder Elfenbein statt aus gewöhnlichem Holz; heutzutage sind sie natürlich meist aus Plastik.

Chutes And Ladders, ein Milton Bradley-Spiel, das zum ersten Mal 1943 in den Vereinigten Staaten erschien, war, wie dem Bradley-Katalog jenes Jahres zu entnehmen ist, Snakes And Ladders entlehnt, „Englands berühmtestem Indoor-Sport.“ Snakes And Ladders ist ein frühes moralisierendes Spiel aus Indien, ähnlich wie viele „rechtschaffene“ Spiele jener Zeit, in denen Tugend belohnt und Laster bestraft wurden. Wenn der Spieler auf bestimmten Feldern des Spielbretts landete, konnte er entweder die Leiter hochklettern (weiterziehen) oder war gezwungen hinunter (zurück) zu rutschen. Die Schlangen blieben in den meisten Ländern bestehen (und es gibt immer noch einige Snakes-And-Ladders-Spiele in den USA), aber die Amerikaner bevorzugen die Rutsche – so etwas wie eine Rutsche auf dem Spielplatz. Das mag einleuchten, wenn man bedenkt, dass die häufigste Phobie in der US-Bevölkerung die Angst vor Schlangen ist!

Game Of India (Pachisi), eines der am weitesten verbreiteten Spiele in der Welt, lässt sich auf das koreanische Spiel Nyout aus dem dritten Jahrhundert zurückführen. Milton Bradley und die Firma McLoughlin Brothers stellten das Spiel in den Vereinigten Staaten um die Jahrhundertwende herum her, während 1896 in England eine ähnliche Version mit dem Namen Ludo gespielt wurde. Das berühmteste Game Of India wurde jedoch in den USA um 1870 herum veröffentlicht. Es hieß Parcheesi und hat 1874 eines der frühesten Patente für ein amerikanisches Spiel erhalten.

Eine aktuelle Ausgabe von Risiko von Hasbro von HasbroZu den beliebtesten heutigen Kartenspielen gehört Mille Borne, ein Spiel, das vermutlich aus Frankreich stammt. Die Spieler haben eine Strecke in unterschiedlicher Geschwindigkeit bis zu etwa 75 Meilen pro Stunde (MPH)zu bewältigen. Nachdem das Spiel bereits seit 1906 auf dem Markt gewesen war, kam es in den USA zuerst unter dem Namen Touring heraus; die Geschwindigkeitskarten zeigten ein, drei und fünf MPH an. Folgeausgaben in den nächsten sechs Jahrzehnten weisen interessante Unterschiede auf. So gibt es ähnliche Spiele, wie zum Beispiel Stap Op in den Niederlanden. Dessen Entfernungs- und Pechkarten sind mit denen von Touring vergleichbar, allerdings wird die Fahrt per Fahrrad unternommen.

„Öffentliche“ und „proprietäre“ Spiele. Viele der älteren Spiele waren nicht oder nicht mehr durch Markenzeichen oder Copyright geschützt, sondern lizenzfrei und damit jedermann zugänglich. Mancala, Chinese Checkers, Pick Up Sticks, Snakes And Ladders, Game Of India und viele mehr wurden von verschiedenen Firmen hergestellt. Parcheesi, Chutes And Ladders, Monopoly, Mille Borne und andere waren urheberrechtlich geschützt („proprietär“), das heißt, sie befanden sich rechtlich im Besitz einer einzigen Firma.

Zu den anderen weit verbreiteten „öffentlichen“ Spielen gehört Authors, 1861 in den USA erfunden und in ganz Europa unter unterschiedlichen Namen und natürlich mit unterschiedlichen Autorenangaben gespielt; es ist vergleichbar mit dem in Europa bekannten Quartett. Dagegen gibt es Dr. Busby, Amerikas erstes Kartenspiel und ein Gegenstück zum deutschen, heute noch in Europa populären Schwarzer Peter, in den USA nicht mehr. Bingo, eine bevorzugte Spendenquelle für die Kirche in den USA, wird im ganzen Land unter dem Namen Lotto und anderen, wie zum Beispiel Beano, verkauft. Anagrams, ein Spiel mit Buchstabenplättchen, lässt sich gut in andere Sprachgebiete übertragen.

Es gibt viele Varianten von Monopoly von HasbroEines der besten Aktionsspiele für Kinder und Erwachsene, Tiddley Winks (Flohspiel), wird überall gespielt. Es ging um 1850 von England aus, wurde dann in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts über den Atlantik „geschnipst“. Erzählt man jemandem, man möge „Tiddle My Wink“, bedeutet das nur, dass man mit Vergnügen die kleine Scheibe, den “Wink”, in die Luft schießt, nachdem man sie mit der größeren Scheibe, dem “Tiddle” (auch „Squidger“ genannt), nach unten gedrückt hat. Wer meint, Tiddley Winks sei nichts für Erwachsene, möge bedenken, dass das Spiel ernsthaft in Harvard, Oxford und Cambridge betrieben wird und die dortigen Turniere in verbissene Wettkämpfe ausarten.

Die große Spielefirma Hasbro verfügt über viele von Amerikas klassischen proprietären Spielen, weil sie zahlreiche alt eingesessene US-Firmen aufgekauft hat, einschließlich Milton Bradley und Parker Brothers. Vielen Europäern ist nicht klar, dass ein MB-Spiel von Milton Bradley ist und damit von einer amerikanischen Tochtergesellschaft von Hasbro. Daher finden sich eine Menge Spiele, die in den Regalen amerikanischer Spielekaufhausketten liegen, ebenso in Europa wieder. Risk (auch unter dem Namen Risiko vertrieben) ist seit 1959 verbreitet, das Game Of Life (Spiel des Lebens) seit 1960 und Operation seit 1965. (Operation wird als Kinderspiel betrachtet, aber auch so mancher Erwachsene kann nicht widerstehen, wenn es auf den Tisch kommt!). Das amerikanische Operation hat einen neuen Bereich ins Spiel gebracht – die „Denkblockade“ (für Hirnchirurgie).

Bruce Whitehill, Autor des Buches Americanopoly von Bruce WhitehillAmerikas Hauptexporte. Halma, beliebt in ganz Europa, aber merkwürdigerweise heutzutage in den USA fast unbekannt, wurde tatsächlich in den Vereinigten Staaten erfunden. Angeregt von dem englischen Spiel Hoppity, hat es ein Harvard-Professor (Massachusetts) 1885 entwickelt. Auch wenn viele Quellen den Ursprung des Spiels in England sehen, stimmt dies doch nicht. Andererseits wird behauptet, das Spiel basiere auf – oder sei zumindest benannt nach – dem Krimkrieg auf der Alma; dafür gibt es aber keinen Beweis. Was wir dagegen mit Sicherheit wissen, ist, dass Halma einen neuen Spielmechanismus einführt, indem die Pöppel eines Spielers die Spielfiguren des Gegners überspringen, ohne dass diese vom Brett genommen werden. Wem dies vertraut klingt: Es handelt sich um Chinese Checkers, sehr populär in den USA, vermutlich abgeleitet von Halma; es scheint jedoch so, dass Chinese Checkers als Stern-Halma in Deutschland begonnen hat, wo es immer noch unter diesem Namen bekannt ist. Um die Verwirrung komplett zu machen: Obwohl Halma durch die E. I. Horsman Company auf den amerikanischen Markt gebracht wurde, beanspruchte Milton Bradley die Urheberrechte an diesem Spiel. Nach einer Auseinandersetzung, die möglicherweise vor Gericht geendet hat, änderte Bradley ein paar Einzelheiten an seinem Spiel und vermarktete es als Eckha, einem Namen, den es auch in Europa gibt. Der Name Halma gilt als griechisch und würde demnach „springen“ bedeuten – obwohl das Spiel keine griechischen Wurzeln hat. Und was Chinese Checkers betrifft, so ist nichts Chinesisches daran – nichts Fernöstliches außer den Bildern, die das Spiel oft schmücken.

Und dann gibt es da noch Monopoly – wohl das populärste und erfolgreichste kommerzielle Spiel. (Obwohl Mancala zusammen mit Schach, Dame und Domino sicherlich auf lange Zeit gesehen Monopoly überlegen ist, dürfte Monopoly die größten Verkaufszahlen über den längsten gegenwärtigen Zeitraum erzielt haben.) Zwar ist Monopoly ein proprietäres Spiel (Hasbro/Parker); dennoch hat aufgrund einer Gesetzeslücke in Italien noch eine zweite Firma Anrecht auf diesen Namen (Monopoli). 1933 brachte jemand Monopoly zu Parker Bros., der fälschlicherweise den Anspruch erhob, der Erfinder zu sein. Möglicherweise hat Parker dies damals schon gewusst, mit Sicherheit aber zu dem Zeitpunkt, als sie versuchten, nach dem raschen Erfolg des Spiels seinen wahren Ursprung zu vertuschen. Tatsächlich hat es 1904 Elizabeth Magie erfunden, um die “Single-Tax”-Wirtschaftstheorie (Bodenwertsteuer) zu veranschaulichen. Heute gibt es Monopoly-Lizenzen für nahezu jedes mögliche Produkt.

Viele andere erfolgreiche proprietäre Spiele haben den Atlantik im Laufe der vergangenen fünfzig Jahre überquert. Cluedo kam 1948 von England in die USA und wurde dort in Clue, The Sherlock Holmes Game umbenannt. Das englische Wort für Schraubenschlüssel, „Spanner“, wurde in den amerikanischen Ausdruck „Wrench“ umgeändert, das britische „Conservatory“ aber wurde beibehalten. Übrigens enthielten die ersten Clue-Spiele echtes Seil, kein Plastik. Da die europäischen Ausgaben nach wie vor Cluedo heißen, ist davon auszugehen, dass sie direkt aus Großbritannien gekommen sind und nicht über die USA.

Americanopoly - Buchcover von Bruce WhitehillScrabble erschien 1931, gestaltet von einem arbeitslosen Architekten namens Alfred Butts in der Zeit der Wirtschaftskrise. Butts legte das alphabetische Vorkommen der Spielsteine fest, indem er die Häufigkeit der Buchstaben auf der Titelseite der New York Times zählte. Jahre später wurde dem Kreuzwortspiel ein Brett hinzugefügt. Erst 1948 wurde es verfeinert und von James Brunot benannt und hat so die Form angenommen, in der es heute bekannt ist. Rund um die Welt wird es in vielen Sprachen gespielt, und obwohl die Spielerzahl bis zu vier beträgt, ist es nach wie vor das beste Zwei-Personen-Wortspiel für alle Altersstufen.

Auch Stratego gehört zu jenen Spielen, die Amerika sein eigen nennt, obwohl es tatsächlich 1961 aus Holland kam. Wohlgemerkt geht die Idee auf den Ersten Weltkrieg zurück, als Milton Bradley es unter dem Namen Le Choc veröffentlichte. Stratego verwendet einen einzigartigen Spielmechanismus, indem die Spieler die Aufstellung ihrer Figuren bestimmen, bevor die Partie beginnt.

Battleship ist seit 1967 im Sortiment von Bradley und wird mindestens auf zwei Kontinenten gespielt. Die Ursprünge des Spiels sollen bis zum Ersten Weltkrieg zurückreichen, als russische Soldaten es spielten. Seit 1931 wurde es in zahlreichen Versionen unter verschiedenen Namen (zum Beispiel Salvo) verkauft. Natürlich ist die internationalste Art und Weise, es zu spielen, die Variante mit Stift und Papier.

Spiele sind Jahrhunderte lang um die Welt gereist. Die Spieleindustrie in den Vereinigten Staaten begann mit dem Import von Erzeugnissen und Ideen aus England, Deutschland, Afrika, Indien und anderen Ländern. Und viele Spiele, die in Amerika erfunden wurden, werden jetzt auf anderen Kontinenten gespielt. Das einzige, dessen wir sicher sein können, ist, dass die Spiele, die einen so weiten Weg zurückgelegt haben und so viele Generationen überlebt haben, die Zeit wert sein müssen, sie zu spielen.

(Aus dem Amerikanischen übersetzt von Sybille Aminzadah)

Hinweis
Bruce Whitehill, amerikanischer Spielehistoriker, -sammler und –autor, hat zu den Themenschwerpunkten Entwicklung der Spieleindustrie in den USA seit 1840, amerikanische Spiele, die weltweit populär geworden sind, und Spiele, die den American Way Of Life in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen widerspiegeln (zum Beispiel Politik, Film, TV, Werbung, Popkultur, Sport und Freizeit) ein Buch unter dem Titel Americanopoly – America as Seen Through its Games veröffentlicht.
Es ist als Paperback erschienen, 132 Seiten stark, enthält 110 Farbfotos und ist dreisprachig (in Englisch, Französisch und Deutsch) gehalten. Handsigniert (und auf Wunsch mit Widmung versehen) direkt beim Autor unter der E-Mail bruwhitehill@mac.com („Americanopoly Book“ in den Betreff setzen) bestellbar.
Da es sich um eine limitierte Auflage handelt, sollte schnell zugegriffen werden.
Preis inklusive Versandkosten: 34 Dollar per Luftpost (sieben bis zehn Tage) oder 29 Dollar auf dem Seeweg (vier bis sechs Wochen).

Webseite von Bruce Whitehill

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